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Kontext schlägt Tool: Die einfache Entscheidungshilfe für KI-Automatisierungen
Warum die Parole „n8n = WordPress der Automatisierung“ ohne Kontext in die Irre führt – und wie du Schritt für Schritt die passende Lösung wählst.
In der Abfrage gestern haben sich die meisten Teilnehmer für mehr Strategie-Themen ausgesprochen, deshalb möchte ich Euch heute, den Begriff der Technologie-Sprungmatrix (Wenn die Anforderungen immer höher werden, braucht man oft einen Technologiesprung zu einer anderen Technologie) näher bringen.
Hier findest du auch ein Online Tool in dem du selber mal ausprobieren kannst, wie deine Technologie-Sprungmatrix aussieht.
Warum ist das wichtig?
Damit Ihr damit einschätzen könnt, wie die Aussagen auf LinkedIn von Experten zu lesen sind und ihr damit einordnen könnt, ob die Aussagen verkürzt, verallgemeinert oder einfach falsch sind.
Viele Aussagen sind einfach ohne Kontext sinnlos. Zuletzt habe ich gelesen, das man n8n oder Zapier….nicht für professionelle Aufgaben einsetzt. Der Author kennt aber nicht genug Beispiele ausserhalb seines Horizonts. Es gibt z.B. ein Unternehmen die sind innerhalb von drei Jahren von zwei auf 1800 Mitarbeiter gewachsen, und da laufen 550 Zaps (Zapier), d.h. die Plattform hat mitskaliert.
Worum geht’s wirklich im Bereich KI?
In vielen Diskussionen taucht der Satz auf: „n8n ist wie WordPress: super zum Start, aber später problematisch.“
Diese Zuspitzung trifft manchmal, ist aber zu allgemein. Denn sie ignoriert das Wichtigste: deinen Kontext.
Beispiel 1: Social-Media-Planung. Du bereitest einmal pro Tag 10 Posts vor. Wenn das System heute mal hakt, lädst du sie eben morgen hoch. Ärgerlich – aber nicht dramatisch.
Beispiel 2: Produktionsablauf. Dein Fertigungsprozess darf keine Sekunde stehen. Jeder Ausfall kostet richtig Geld. Hier ist „mal schauen“ keine Option.
Merke: Nicht das Tool ist „gut“ oder „schlecht“. Die Passung zwischen Tool und Aufgabe entscheidet.
Damit du diese Passung findest, brauchst du als erstes zwei einfache Zahlen und ein paar klare Fragen. Das bekommst du hier – ohne Technik-Jargon.
Die zwei wichtigsten Zahlen: RTO & RPO (ohne Fachchinesisch)
RTO (Recovery Time Objective) – wie schnell muss es wieder laufen?
Stell dir vor, etwas geht schief (Server down, Timeout, Passwort abgelaufen).
RTO beantwortet: Wie viele Minuten/Stunden sind okay, bis alles wieder läuft?
Entspannt: „Wenn’s morgen wieder geht, reicht mir.“ → RTO ≈ 24h
Mittel: „In ein paar Stunden sollte es wieder funktionieren.“ → RTO ≤ 4h
Eilig: „Innerhalb einer Stunde bitte!“ → RTO ≤ 60min
Sehr eilig: „In wenigen Minuten, am besten sofort.“ → RTO ≤ 5min
RPO (Recovery Point Objective) – wie viel darf verloren gehen?
Es passiert ein Fehler mitten in der Verarbeitung.
RPO beantwortet: Wie viele Daten/Einträge darf ich maximal verlieren?
In einer Näherung lässt sich auch aus dieser Zahl das Budget für die Lösung entwickeln.
Entspannt: „Zur Not fülle ich es morgen neu ein.“ → RPO ≈ 24h
Mittel: „Ein paar Stunden Verlust sind okay.“ → RPO ≤ 4h
Eilig: „Bitte höchstens wenige Minuten.“ → RPO ≤ 15min
Sehr eilig: „Nichts verlieren!“ → RPO ≤ 1min
Kurzformel zum Merken:
RTO = Zeit bis wieder alles läuft.
RPO = Daten, die maximal verloren gehen dürfen.
Wenn du diese zwei Werte ehrlich einschätzt, hast du 80 % der Entscheidung schon gewonnen.
Vier Zusatzfragen, die völlig reichen
Du brauchst nicht 20 Kriterien. Für den Start genügen diese vier:
Wie viel läuft pro Stunde?
Grob schätzen: < 50, 50–200, 200–1000, > 1000 Vorgänge pro Stunde.Wie lange dauert ein Durchlauf?
Kurz (<5 min), mittel (5–60 min), lang (>1 h).Gibt es Regeln/Änderungen zur Laufzeit?
Musst du Entscheidungen während des Ablaufs umschalten können (z. B. „Wenn Kunde VIP ist, dann…“)?Gibt es besondere Pflichten?
Personendaten (DSGVO) oder Prüfbarkeit/Audit? Wenn ja, steigt der Anspruch automatisch.
Die einfache Klassen-Einordnung (statt Tool-Glaubenskrieg)
Wir fassen typische Situationen in fünf Klassen zusammen. Lies sie von oben nach unten und hake das ab, was zu dir passt.
Klasse 1 – Mini-Automationen (sehr entspannt)
Ausfall: egal bis morgen (RTO ~24h)
Datenverlust: egal bis morgen (RPO ~24h)
Last: < 50 pro Stunde
Beispiele: Social-Posts vorbereiten, interne Erinnerungen, einfache Dateikonvertierungen, Content-Kalender
Geeignete Werkzeuge: n8n/Make/Zapier out of the box
Sicherheitsgurte: Ein Wiederhol-Schutz (Idempotenz), 2–3 automatische Neuversuche, Fehler-Mail
Klasse 2 – Team-Automationen (ein bisschen wichtiger)
Ausfall: bitte in ≤ 4h beheben
Datenverlust: ≤ 4h ok
Last: bis ~200 pro Stunde
Beispiele: Freigabe-Workflows, CRM-Listen abgleichen, Benachrichtigungen mit Bedingungen
Geeignete Werkzeuge: n8n/Make mit etwas Sorgfalt
Sicherheitsgurte: Fehler-Auffangkörbchen („DLQ“), feste Neuversuche mit Pause, einfache Protokolle/Notizen
Klasse 3 – Bereich-kritisch (es wird ernst)
Ausfall: ≤ 60min
Datenverlust: ≤ 15min
Last: 200–1000 pro Stunde oder Personendaten/Audit
Beispiele: Leads zuverlässig ins CRM/ERP, Bestellungen in die Warenwirtschaft, verbindliche E-Mail-Strecken
Geeignete Werkzeuge:
Entweder robust aufgesetztes n8n/Make (mit Regeln, Warteschlangen, Protokollen)
Oder professionelle Plattformen („iPaaS“)
Sicherheitsgurte: Fester Notfallkorb (DLQ) mit Benachrichtigung, klare Wiederhol-Regeln, einfache „Stopp/Weiter“-Schalter
Klasse 4 – Unternehmens-kritisch (Kernabläufe)
Ausfall: ≤ 5min
Datenverlust: ≤ 1min
Last: oft > 1000 pro Stunde; Abläufe mit vielen Schritten und Rückabwicklung („erst X, dann Y; wenn Y schiefgeht, X rückgängig“)
Beispiele: Bestell- und Zahlungsprozesse, zentrale Logistik, produktionsnahe Abläufe
Geeignete Werkzeuge: spezialisierte Workflow-Systeme („Orchestratoren“), die genau für solche Fälle gebaut sind
Sicherheitsgurte: „Wiederholen ohne Doppelwirkung“, genaue Ablauf-Spuren, sofortige Alarme
Klasse 5 – 24/7/Null-Ausfall (nur wenn wirklich nötig)
Ausfall: praktisch 0
Datenverlust: 0
Beispiele: Fließband-Steuerung, Zahlungs-Kern, medizinische Steuerungen
Geeignete Werkzeuge: Hochverfügbare Architekturen mit Reserve-Systemen
Sicherheitsgurte: Betrieb rund um die Uhr, Tests von Ausfällen („Fehler proben“), strenge Freigaben
Einfacher Sprung-Merksatz:
Sobald zwei Punkte deutlich „schärfer“ werden (z. B. Ausfall ≤ 60 min und Personendaten), spring eine Klasse höher. Nicht zerren, springen.
In 10 Minuten zur richtigen Klasse (Schritt-für-Schritt)
RTO festlegen:
Wenn heute alles ausfällt – bis wann muss es wieder laufen? (Morgen? 4 h? 60 min? 5 min?)RPO festlegen:
Wie viel Verlust wäre gerade noch okay? (Ein Tag? 4 h? 15 min? 1 min?)Last & Dauer grob einschätzen:
Vorgänge pro Stunde + typische Laufzeit (<5 min, 5–60 min, >1 h).Pflichten checken:
Personendaten? Braucht jemand später prüfbare Nachweise?In Tabelle oben vergleichen und Klasse auswählen.
Sicherheitsgurte einsetzen (siehe unten) und klein starten.
Einen „Fehler-Tag“ simulieren: Einmal absichtlich etwas scheitern lassen → prüfen: Hätten wir es gemerkt? Wissen wir, was zu tun ist?
„n8n richtig einsetzen“ – simpel erklärt
n8n,make.com, Zapier (und ähnliche Tools) sind ideal, wenn du schnell loslegen willst und die Welt nicht davon abhängt, dass jede Sekunde alles perfekt ist.
Glanzbereich: Klasse 1–2
Machbar mit Sorgfalt: Klasse 3 (wenn du die Sicherheitsgurte konsequent nutzt)
Lieber anderes Werkzeug: Klasse 4–5 (dafür gibt es spezialisierte Systeme, die genau solche Anforderungen stemmen)
Wichtiger Punkt: Viele Frust-Geschichten entstehen nicht, weil n8n „schlecht“ wäre, sondern weil Basics fehlen. Setz diese drei Dinge immer um:
Wiederholen ohne Doppelwirkung
Wenn ein Schritt noch mal läuft, soll nichts doppelt angelegt/verschickt/gebucht werden. (Stichwort: „Duplikate erkennen“)Notfallkorb
Geht etwas trotz Wiederholungen schief, landet es sichtbar in einem „Korb“. Du bekommst eine Nachricht („Bitte ansehen!“) und kannst manuell lösen.Alarm & Protokoll
Wenn etwas Wichtiges nicht gelaufen ist, willst du das merken – und im Nachhinein sehen was passiert ist.
Mit diesen drei Basics trägt n8n erstaunlich viel – ohne dass du tief in Technik einsteigen musst.
Typische Anfänger-Fehler (und wie du sie vermeidest)
„Ein Riesen-Flow für alles“
Besser: Mehrere kleine Flows, die jeweils eine Sache zuverlässig tun.„Unendlich neu versuchen“
Besser: Ein paar Neuversuche mit Pause – dann in den Notfallkorb und melden.„Doppelt ausgelöst = doppelt ausgeführt“
Besser: Duplikate erkennen (z. B. anhand einer eindeutigen ID wie Bestellnummer).„Fehler merkt niemand“
Besser: E-Mail/Chat-Benachrichtigung, wenn ein Flow scheitert oder in den Notfallkorb geht.„Wir schieben später nach“
Besser: Die drei Basics (Wiederholen ohne Doppelwirkung, Notfallkorb, Alarm/Protokoll) von Anfang an.
8) Fünf echte Beispiel-Szenarien (mit Entscheidung)
A) „Täglich 10 LinkedIn-Posts“
RTO/RPO: Morgen ist ok → entspannt
Last/Dauer: niedrig/kurz
Entscheidung: Klasse 1
Set-up: n8n einfach, plus: Duplikate stoppen, 2–3 Neuversuche, E-Mail bei Fehler
B) „Urlaubsanträge im Team abwickeln“
RTO/RPO: Bitte heute noch, aber kein Drama → ≤ 4h
Last/Dauer: moderat
Entscheidung: Klasse 2
Set-up: n8n mit Notfallkorb, Wiederhol-Regeln, kleinem Protokoll
C) „Leads zuverlässig ins CRM & Mails versenden“
RTO/RPO: ≤ 60min / ≤ 15min, Personendaten → ernst
Last: 200–1000/h
Entscheidung: Klasse 3
Set-up-Optionen: Robust gemachtes n8n oder professionelle Plattform; unbedingt: Notfallkorb + Benachrichtigung, saubere Wiederhol-Regeln, einfache „Stopp/Weiter“-Schalter
D) „Checkout/Bestellung im Online-Shop“
RTO/RPO: minutenentscheidend, fast kein Verlust erlaubt
Last: oft hoch, viele Schritte
Entscheidung: Klasse 4
Set-up: Spezialisierte Workflow-Systeme („Orchestratoren“), genaue Ablauf-Spuren, sofortige Alarme
E) „Fließband darf nie stehen“
RTO/RPO: 0 / 0
Entscheidung: Klasse 5
Set-up: Hochverfügbare Architektur mit Reserve, strenge Freigaben, Tests von Ausfällen („Fehler proben“)
